2003, 2 x 160 x 115 cm, Öl auf Leinwand, Preis auf Anfrage
Es ist noch kein Fleisch, es ist noch ein totes Tier.
Knallrote Schlachtkörper-Arabesken liegen über einer auf dem Belpberg neben Belp aufgenommenen idyllischen Kulturlandschaft. Der Farbkontrast unterstreicht die Diskrepanz zwischen den Darstellungsweisen – das störende, kritische Element. Meine Malarbeit führte mich paradoxerweise in den Schlachthof Bern. „Was für eine Idee?“, wird sich vielleicht jemand fragen.
Schlachtkörper sind eben seit langem ein Künstlerthema: Bilder wie „Der geschlachtete Ochse“ von Rembrandt (1655) oder der Schlachtkörper von Francis Bacon (1980) bezeugen dies (sehe diese Bilder).
Erstaunlicherweise ist der Schlachtkörper formal sehr interessant, oder einfach schön. Es ist ein mächtiger Gegenstand, mit kräftiger Struktur und feinen Farben, ganz raffinierten Rot- und Perlmutt-Töne. Bei einer Schlachthälfte wird das Skelett sichtbar, ein perfekter Bau, fein und stark zugleich.
Eine komplexe Welt
Selbstverständlich ist die Wahl eines solchen Themas auch inhaltlich nicht ganz harmlos. Es geht um tiefe und mehrdeutige symbolische Schichten unserer Beziehung zu den Tieren. Blut, Opfer, Grausamkeit, all dies berührt uns immer noch, auch wenn die Verfahren jetzt industriell und aseptisch geworden sind, wenigstens auf ersten Blick. Anderseits gibt es das Fest, das gute Essen, unsere Bindung zu den Tieren. Kurz gesagt, eine ganze komplexe Welt, die mir viel zu schaffen gab.
Ausserdem sensibilisierte mich für diese Problematik meine Arbeit beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), wo ich verschiedene Nahrungsmittelkrisen, insbesondere im Fleischbereich, hautnah miterlebe. Seit Jahren verfolgte mich deshalb der Gedanke, einmal einen Schlachtkörper zu malen. Nach einer längeren Verdauung (wenn ich so sagen darf) ist mir endlich etwas Machbares in Sinn gekommen: ein Diptychon mit fein gezeichneten knallroten Schlachtkörpern auf idyllischen Kulturlandschaften. Ich möchte dadurch zum Nachdenken einladen, ohne zu urteilen.
Ich brauchte also Modelle. Nachdem ich nichts Überzeugendes auf dem Netz gefunden hatte beschloss ich selber Fotos zu machen. Die Erfahrung in einem Schlachthof ist nicht neu: ich war schon einmal vor Jahren in so einem Betrieb. Ich brauchte Hörner für eine Ausstellung in einem Kulturzentrum in Windsor (ja, in Grossbritannien, was für ein Zufall!). Diesmal war aber das Erlebnis fiel vollständiger.
A Moving Visit
So gehe ich eines Tages in den Schlachthof Lüthi in Bern, um einige Fotos zu schiessen. Ein Mitarbeiter empfängt mich herzlich. Der Mann ist rundlich und ein wenig rosarot, ein echter Metzger, im jeden Fall ganz sympathisch. Er und andere Mitarbeiter freuen sich, dass sich jemand für ihre Arbeit interessiert, ohne den Drohfinger zu heben. Die Erwähnung des BLW und der Fleischorganisation Proviande hilft mit möglicherweise ein wenig.
Man gibt mir die Schutzkleidung (Plastikkappe, -mantel, -schuhe); es kann losgehen. Für die Schlachtung selbst bin ich zu spät, doch die Enthäutung und die Halbierung der Schlachtkörper sind auch sehr beeindruckend. Zwei Männer enthäuten Kälber: mit einem Kreismesser trennen sie die Haut vom Fleisch und ziehen sie ganz kräftig auseinander. Die Zerschneidung mit einer Kettensäge ergibt eine unverblümte Schau. Eine archaische Opferaura vermischt sich mit dem Bild der modernen industriellen Effizienz.
Eine Erfahrung berührt mich insbesondere, im wortwörtlichen und übertragenen Sinn: wenn man in der Halle herumspaziert, muss man fast gegen Schlachtkörper stossen. Sie sind überall und bewegen sich ständig von einer Phase der Kettenverarbeitung zu der nächsten. Ich stosse also gegen das Gerippe eines Riesenstiers. Und obwohl es ganz logisch ist, bin ich überrascht: der Körper ist noch ganz warm.
Nein, es ist noch kein Fleisch, es ist noch ein totes Tier.